Ukraine„In der Nacht, da schießen sie“In der Ukraine herrscht seit 2014 ein bewaffneter Konflikt, der weitgehend aus den Schlagzeilen verschwunden ist. Nicht verschwunden ist die Not, und nicht verschwunden sind die humanitären Helfer_innen.
Wera Parnizkaja erzählt von ihrem Alltag. Untertags sei
es recht ruhig, da könne man auf die Straße gehen – auch,
wenn immer wieder Einschläge zu hören seien. „In der Nacht
aber“, so sagt sie, „da schießen sie die ganze Zeit.“
Hintergrund
Hatten einige Dörfer vor dem Krieg
das nächste Krankenhaus in unmittelbarer Nähe, so liegen
diese Kliniken heute auf der anderen Seite der Kontaktlinie – und sind unerreichbar. Hier unterstützt das Rote Kreuz.
Wera sagt, sie hätte sich gewöhnt an die allnächtlichen Schusswechsel, gehe gar nicht mehr in den Keller. Aber für die im Dorf verbliebenen Familien mit Kindern sind die Kämpfe ein Wahnsinn. Der Stress, dem vor allem die Jüngsten ausgesetzt sind, sei enorm, sagen auch Mediziner. Kommen ältere Menschen vor allem wegen normaler Alterserscheinungen wie Zucker, Gelenks- oder Blutdruck-Problemen, leiden die Jüngeren hauptsächlich unter ständigem Stress und den Folgen davon: Herzprobleme, psychosomatische und auch psychische Probleme.
Ihren Söhnen Timofej (3) und Anton (5) kann sie die nächtlichen Granateinschläge noch als Gewitter verkaufen. Von den Fenstern sollten sie dann wegbleiben. Bei Maksim (8) funktioniert das nicht mehr. „Das ist schwierig zu erklären“, sagt sie.
Landwirtschaft kann sie aber nicht betreiben, weil auf den Feldern um das Dorf zu viel unexplodierte Munition herumliegt. Nur mit einem Geldbetrag des Österreichischen Roten Kreuzes wird sie das Haus winterfest machen können.
Auch abseits der Kontaktlinie haben die Kämpfe tiefe Risse in den Biografien der Menschen hinterlassen. Es mangelt an Arbeit. Das hat auch Alexej Skalivenko (41) bitter erfahren müssen. Hinzu kam eine schwere Rückenverletzung. Mit 1000 Euro Starthilfe des Roten Kreuzes hat er heute aber sein eigenes kleines Business.
Er hat eine kleine Garage angemietet, Werkzeug gekauft und repariert Haushaltsgeräte: Teekocher, Küchengeräte, Haushaltselektronik. Gelernt hat er das nie. „Das Leben hat uns gelehrt“, sagt Alexej Skalivenko.
Leicht sei es nicht, sagt Alexej, denn seine Kunden seien selbst knapp bei Kasse. "Daher gehe ich mit meinen Preisen soweit hinunter wie es geht", meint der 41jährige.
Lena und Dmitri Wtowitsch haben mit Hilfe des Roten Kreuzes im eigenen Haus eine kleine Käserei aufgebaut.
„Leicht war es nicht“, erzählt Lena von ihrem kleinen Business. „Vor allem einmal, gute Ziegen zu bekommen.“ In Kiew kauften sie die ersten beiden Tiere und brachten sie mit dem Zug nach Konstantiniwka eine Stadt im Oblast Donetsk. Wie macht man das? „Man kauft ein Ticket für sich und die Ziege“, sagt Lena und lacht. Anders sei es aber einfach zu teuer gewesen.
Heute überlegen die beiden, einen Schuppen im Garten zu errichten, um mehr Käse zubereiten und lagern zu können. Dann könnten sie auch gereiften Käse verkaufen.
Aber bereits der junge Käse der beiden hat seine Fangemeinde in der Nachbarschaft. Auch am lokalen Markt verkaufen sie bereits.
„Denn es gibt eben nichts besseres, als ein Käsebrot in der Früh“, sagt Lena.